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Bitte Abstand halten!

Kommentar der Anderen, Der Standard, 5.11. 2002

 

Der überraschend nahende Wahlkampf eröffnet die Chance für einen kulturpolitischen Diskurs jenseits von defensiver Abwehr und offiziellem Nichtstun.

 

Neben den oft diskutierten Kürzungen der Förderung bestimmter kultureller Praxen war die Kulturpolitik (zumindest des Bundes) in den vergangenen zweieinhalb Jahren vor allem durch deren völliges Aussetzen gekennzeichnet. Es kann nunmehr als gesichertes Resumee gelten, dass aus dem Bereich des Kunststaatssekretariates absolut nichts vorgegeben wurde. Nicht einmal ein zu bestreitendes, provokatives oder umstrittenes Konzept wie es zum Beispiel das Bildungsministerium mit der Universitätsreform vorgelegt hat. Die Amtszeit Moraks muss also als one-word-policy abgeschrieben werden, der außer der oftmaligen Wiederholung des Begriffs „cultural industries" nichts eingefallen ist.

 

Fehlende Konzepte

 

Jetzt könnte es zu einer personellen Änderung kommen und möglicherweise auch zur einer anderen politischen Ausrichtung des Amtes. Diese Perspektive offenbart jedoch wie sehr die politische Debatte durch die Dauerfixierung auf Abwehr von Attacken und Grundsatzkritik am rechten Mob verarmt ist. Neben den Hinweisen auf die Rücknahme schwarz-blauer Kürzungen und den rhetorischen Dauerbrennern der Förderung des „Experiments" und der „sozialen Relevanz" ist - vor allem im Bereich von Strukturfragen - keine wenig kulturpolitische Agenda sichtbar, die als konzeptiver Rahmen für eine mittelfristige (sprich 10 bis 15 Jahre) Entwicklung des österreichischen Kulturlebens dienen könnte. Benötigt würde sie jedoch.

 

Abkehr von höfischen Strukturen

 

Beschränkt auf Strukturfragen sei eine zentrale Forderung hervorgehoben. Sie bezieht sich auf ein Wesensmerkmal österreichischer (Kultur)politik, welches historisch sowohl auf Bundes wie auch auf städtischer Ebene derartig fest strukturell eingeschrieben ist, dass es interessanterweise unabhängig von der politischen Ausrichtung der jeweiligen AmtsträgerInnen schnellstens affirmiert wird, da es den vermeintlichen Kern der Gestaltungsmöglichkeiten zu betreffen scheint. Die endgültige Auflösung der zentralistisch-paternalistischen Stimmung innerhalb der Strukturen des Bundes wie auch der Stadt Wien ist überfällig.. Besetzungen der Leitungsfunktionen, institutionelle Finanzierung, Förderungsprogramme, Auslandkulturarbeit, konzeptive Schwerpunktsetzung bis hin zur Programmierung einzelner Projekte, Biennalepräsentationen, Ateliervergaben, Investitionen und Bauten usw: Nahezu alle zentralen Funktionen wurden und werden weiterhin direkt aus den Stäben der Staatssekretariate, Ministerien und zuständigen Stadträte wahrgenommen - auch wenn sie gelegentlich an rechtlich nicht verbindliche Beiräte delegiert werden. Das Fehlen zivilgesellschaftlichen Engagements ist ebenso logische Folge dieser Struktur wie ein inhärenter Mangel an Transparenz, da die Nahebeziehung zum Hofe immer noch die bessere Position für ProduzentInnen darstellt als das ständige Schaffen von Öffentlichkeiten für ihre Zwecke. Hier sind Auslagerung von Verantwortlichkeit, Dezentralisierung, Ausbau der institutionellen self-governance und transparente Verfahren überfällige Schlagworte. Dies sollte nach den schlechten Erfahrungen mit der „falschen" Regierung umso dringlicher auf der Tagesordnung stehen, als spätestens jetzt klar sein müsste. wie schädlich sich dieser fast monarchische Direktzugriff auswirken kann.

 

Logischerweise kann sich der Ansatz einer derartigen Distanzkultur nicht nur darauf beschränken diese Forderung „nach oben" zu erheben. Die gestaltenden Akteure im Bereich der kulturellen Lebens müssten sich auch um die zivile, transparente Durchsetzung ihrer Interessen und die Austragung ihrer Konflikte gewöhnen, ohne sich im Hintergrund immer wieder mit ihren politischen DialogpartnerInnen abzustimmen bzw. in diesem Sinn „über Bande" zu agieren . (Die Museumsquartierquerelen können als Fallstudie für derartige Stellvertreterkonflikte gelten)

 

Kulturpolitik mit An- und Abstand

 

Zur Klarstellung: Die Finanzierung und die Sicherstellung ausreichender infrastruktureller Ressourcen muss öffentliche Aufgabe bleiben. Doch staatliche Zuständigkeit heißt nicht Verfügungsgewalt, persönliche Spielwiese und Amtsträgerindividualismus. Gefordert ist eine neue job-description für Kulturpolitik. Ein(e) Kulturpolitiker(in) hat nicht die produzierende Szene durch „eigene Projekte" (wie die unsägliche „Kunst gegen Gewalt" Initiative des Staatssekretärs) zu konkurrenzieren und muss auch nicht die Generalintendanz für die Häuser in seiner Zuständigkeit übernehmen. Zentrale Aufgaben dieser neuen „Kulturpolitik mit An- und Abstand" sind vor allem das zähe und beharrliche Lobbying für die Notwendigkeiten kultureller Arbeit in Bereichen, die dem Politiker leichter zugänglich sind als den kulturellen ProduzentInnen, die Erarbeitung intelligenter tools zur Finanzierung und gesellschaftlichen Verankerung von Kunst und Kultur und die Vermittlung ihrer gesellschaftlichen Relevanz mit der Autorität des dafür gewählten Bürgers. Die Kulturpolitik ist somit vor allem als fachkundiges Gegenüber für diejenigen zu sehen, die sich als KünstlerInnen, KunstvermittlerInnen, KulturarbeiterInnen etc. tagtäglich darum bemühen das „am Abend der Vorhang aufgeht" und nicht als ihr entweder guter oder böser „Übervater".

 

Martin Fritz arbeitet als Kurator und Projektorganisator in Wien und war zuletzt als Generalkoordinator der Manifesta 4 Europäische Biennale zeitgenössischer Kunst in Frankfurt am Main tätig.

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